Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Warum die Milchstraße immer dicker wird

Warum die Milchstraße immer dicker wird

Warum die Milchstraße immer dicker wird

Die vertikale Ausdehnung unserer Milchstraße ist nicht konstant, sondern nimmt beständig zu. Astronomen diskutieren seit einiger Zeit über die genauen Ursachen, die zu dieser Expansion beitragen. In einer aufwendigen Simulation haben nun Reza Moetazedian und Andreas Just vom Sonderforschungsbereich SFB 881 am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg einen dieser Mechanismen mit bisher unerreichter Genauigkeit untersucht. Sie konnten dabei zum ersten Mal quantifizieren, welchen Einfluss einfallende Satellitengalaxien auf die galaktische Scheibe unserer Heimatgalaxie ausüben.


Aufnahme einer typischen Spiralgalaxie in Seitenansicht, hier NGC 4565 (Bild: Joseph D. Schulman). Der Aufbau aus einer relativ flachen Scheibe mit einem hellen, massereichen Kern in der Mitte der Galaxie ist gut zu erkennen.

Der Aufbau der Milchstraße folgt dem typischen Muster einer Scheiben- oder Spiralgalaxie: Die sichtbare Materie verteilt sich hauptsächlich auf eine helle Verdickung im Zentrum der Galaxie und eine ihn umgebende flache Scheibe mit Spiralstrukturen. Der weitaus größte Massenanteil befindet sich aber im sogenannten Halo, einer sphärischen Struktur aus Dunkler Materie, welcher die Galaxie umgibt. Dabei ist der Aufbau der Galaxie keineswegs statisch. Es lässt sich beispielsweise nachweisen, dass sich die Galaxienscheibe in vertikaler Richtung ausdehnt - unsere Galaxie wird immer „dicker“. Die Ursachen für diesen Prozess sind bisher nicht ausreichend verstanden und Gegenstand aktueller Forschung.

Eine denkbare Erklärung hierfür ist die Verschmelzung mit kleineren Satellitengalaxien, die im Laufe der Zeit auf die Milchstraße einstürzen. Im Halo der Galaxie lassen sich viele Unterstrukturen finden, die auf einen früheren Einfall von Satelliten zurückgeführt werden können. Es wird angenommen, dass der gravitative Einfluss dieser Strukturen für ein Aufheizen und damit die zunehmende vertikale Ausdehnung der Galaxienscheibe verantwortlich sein könnte.

In aufwendigen Simulationen haben die Astrophysiker Reza Moetazedian und Andreas Just im Rahmen ihrer Arbeit im Teilprojekt A2 des Sonderforschungsbereichs „Das Milchstraßensystem“ nun zum erstem Mal den Beitrag dieser Unterstrukturen quantifiziert. Das Ergebnis hat beide überrascht: „Wir haben in diesem Fall kaum einen Einfluss der Satelliten auf unsere Galaxienscheibe gesehen“, berichtet Just. Der Beitrag zur vertikalen Expansion der Milchstraße, den man den Satelliten zuordnen kann, liegt nur bei etwa 10 bis 15 Prozent des gemessenen Wertes in der galaktischen Umgebung der Sonne.

Dabei achteten die beiden Astronomen in ihren Simulationen vor allem auf eine besonders stabile Ausgangssituation sowie eine gute Auflösung der simulierten Galaxie. So stellten sie sicher, den Einfluss der einfallenden Satellitengalaxien zuverlässig quantifizieren zu können. Um ein statistisch relevantes Ergebnis zu erreichen, ließen Moetazedian und Just zudem sieben verschiedene Simulationen laufen. Diese wiesen alle eine etwas unterschiedliche Anfangsverteilung der untersuchten Substrukturen im Halo um die Galaxie auf. Für alle Simulationen sahen sich die Forscher dann die Entwicklung der Galaxienscheibe über zwei Milliarden Jahre hinweg an.

In den Simulationen ließ sich zwar eine gewisse Zunahme der mittleren Dicke der Galaxienscheibe und der Geschwindigkeitsverteilung der Sterne in vertikaler Richtung feststellen. Diese lagen jedoch zumeist in derselben Größenordnung wie die von Galaxien, die ohne den Einfluss zusätzlicher Satelliten simuliert wurden. Einzige Ausnahme hiervon war eine Simulation mit einer besonders schweren Unterstruktur innerhalb des galaktischen Halos. Hier konnten die Forscher einen deutlich größeren Einfluss auf die Dicke der Galaxie erkennen. Um die beobachteten Messungen aber damit reproduzieren zu können, müsste die Milchstraße in ihrer Vergangenheit regelmäßig von solch schweren Galaxien in der Größenordnung der Großen Magellanschen Wolke getroffen worden sein. Für eine derart heftige Vergangenheit gibt es jedoch keinerlei Hinweise in den Beobachtungsdaten der Astronomen. „Es ist anzunehmen, dass andere Mechanismen das Aufheizen der Galaxienscheibe dominieren“, ergänzt Just. Diesen wollen die beiden Wissenschaftler nun auf den Grund gehen.


Ergänzende Information:

Originalpublikation: Impact of cosmological satellites on the vertical heating of the Milky Way disc, R. Moetazedian, A. Just, Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Oxford University Press, vol. 459 (3): pp. 2905-2924.

Diese Arbeit wurde im Rahmen des Sonderforschungsbereiches SFB 881 "Das Milchstraßensystem" der Universität Heidelberg durchgeführt. Sonderforschungsbereiche sind langfristige Projekte zur Grundlagenforschung, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bis zu einer Dauer von 12 Jahren gefördert werden.

Unsere Heimatgalaxie, die Milchstraße, ist eine Spiralgalaxie und damit ein typischer Vertreter der Galaxien im heutigen Universum. Aufgrund unserer Lage innerhalb der Milchstraße bietet sie uns eine einzigartige Möglichkeit zur Untersuchung der physikalischen Prozesse bei der Entstehung von Galaxien. Die am SFB881 beteiligten Wissenschaftler untersuchen seit 2008 die Entstehung und Evolution der Milchstraße und ihrer Umgebung.

Der SFB 881 befindet sich am Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg (ZAH) und umfasst Wissenschaftler des Astronomischen Rechen-Institut (ARI), dem Institut für Theoretische Astrophysik (ITA) und der Landessternwarte Königstuhl (LSW). Die beteiligten außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind das Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) und das Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS). Darüber hinaus beteiligt sich das Haus der Astronomie (HdA), um die Forschungsergebnisse des SFBs der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.


Kontakt:

Dr. Renate Hubele
Sonderforschungsbereich 881 „Das Milchstraßensystem“
Öffentlichkeitsarbeit
Tel. +49 6221 528-291
Email: hubele(at)hda-hd.de

Editor: T. Lisker
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